Das eigene Denken kann einem offenbar massiv zusetzen.
Zuerst war es eine absolut erschreckende Diagnose, die Sache mit der Notoperation, dem „von 0 auf 100“, dem „Schlag auf Schlag“ gehen mit den weiteren Diagnosen, den Behandlungen, den Bestrahlungen, den Chemotherapien, dem ganzen anderen…..
Ich begann zu laufen, zu laufen, zu laufen. Versuchte alles rundherum so erträglich wie nur möglich zu machen, brachte sie hierhin, dorthin, dahin, versuchte alles nur erdenkliche. Versuchte.
Als die Haare begannen auszufallen, die Kräfte schwanden, die Problemchen begannen, begann sich Alles immer schneller zu drehen. Immer schneller und schneller. Ich versuchte, ihr möglichst viel abzunehmen. Sie zu beschützen.
Aus der jetzigen Sicht, versuchte ich Vieles. Unsinniges, Sinnvolles, alles Erdenkliche.
Es war egal! Es war völlig egal. Mir war es egal. Hauptsache meiner mir Anvertrauten ging es gut. Soweit eben möglich. Ich habe auf nichts verzichtet, habe nichts aufgegeben, hatte Alles!
Ich hatte Sie!
Der Weg wurde immer steiler und steiler. Tag für Tag, Woche für Woche. Monat für Monat. Aber nicht für mich! Sondern für meine mir Anvertraute. Sie hatte den Weg zu gehen. Sie musste ihn gehen, wollte auch nicht aufgeben, sich nicht hinsetzen und aufgeben. Sie gab nicht auf.
Und ich versuchte alles nur Mögliche, die Steine die Äste, einfach Alles aus dem Weg zu räumen. Ich wurde immer schneller, ließ Vieles liegen, wurde immer schneller…..
Ganz langsam aber sicher, wurde ich immer schneller, je steiniger der Weg wurde.
Von Aussendienst auf Homeoffice umgestellt, einen anderen Arbeitgeber gesucht und gefunden. Aber das hatte auch andere Gründe.
Im Haus habe ich Griffe montiert, Aufstehhilfen organisiert, dies besorgt, jenes besorgt, dies gemacht, jenes gemacht. Alles nur, um ihr zu helfen, doch noch über den besagten Berg zu kommen. Auf einem möglichst bequemen Weg. Einem leichten Weg.
Wir wussten es. Wir beide, wir alle, wussten es, dass die Sache schief gehen würde. Die Chancen schwanden von Tag zu Tag. Irgendwann kamen auch Tage, an denen nur mehr das Krankenhaus als Option möglich war. Ich besuchte Sie täglich. Es war normal, es war selbstverständlich. Für mich. Ich tat es gerne, regelte mein kleines Leben so, dass dies alles klappte. Irgendwie.
Im Februar zeigte sich ein schlechter Wegabschnitt. Es wurde noch steiler, noch steiniger für meine mir Anvertraute. Der erste März war der Tag, an dem Nichts mehr ging.
Sie musste ins Krankenhaus, hoffte und bekam dann auch einen Platz auf der Palliativstation. Sie fühlte sich wohl. Sie wusste bereits, dass sie nicht mehr nachhause kommen würde. Sie wusste es.
Ich will nicht zuhause sterben!
Ein Platz in einem Hospiz wurde ihr angeboten. Sie nahm in an.
Diesmal klappte nichts mehr! Der Corona-Virus machte der ganzen Sache einen Strich durch die Rechnung. Und das war gut so!
Sie konnte auf der Palliativstation bleiben, fühlte sich gut betreut, fühlte sich wohl.
Die letzte 5 Tage des März, die waren unbeschreiblich.
Man merkte. Ich merkte, wir merkten und vor allem sie selbst merkte, dass es zu Ende gehen würde. Es würde zu Ende gehen. Langsam aber sicher ging das Licht aus.
Am Mittwoch, dem ersten April, bekam ich den Anruf, vor dem ich Angst hatte.
Der Anruf kam, ich befürchtete das Schlimmste, konnte mich jedoch noch in aller Ruhe von meiner mir Anvertrauten verabbschieden. Es blieben uns noch einige Stunden.
Es blieben uns noch einige Stunden Gemeinsamkeit. Ein Miteinander.
Ich durfte sie begleiten. Ich durfte meine mir Anvertraute begleiten.
Bis zum Ende.
Ich knallte auf den Boden der Realität zurück. Der Kopf spielt verrückt, der Körper dreht durch, alles läuft aus der Spur! Ein Gefühl, als würde man auf den Boden knallen.
Von 200 auf 0 in einer Sekunde.
Denken, grübeln, weinen, verzweifeln, verwirrt sein, trauern, in Gedanken schwelgen, träumen, nicht schlafen, denken, weinen, Gedanken.
Das Hirn kotzt sich aus. Blackout. Es dauert……… Es dauert an ……..
Der Alltag ist da, holt einen ein. Er zwingt einen, wieder zu funktionieren, zu machen zu tun. Der Körper verlangt sein recht auf Pause. Es muss weitergehen.
Die Gedanken drehen sich im Kreis…..
Das Hirn kotzt sich aus!
Stichwort: „Kein guter Tag!“
❤
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Es ist gut, dass das Hirn kotzt, dass Sie das alles in Worte fassen, das Erlebte, das Gefühlte, das Getane. In Worte fassen, zurück blicken und ein wenig verarbeiten.
Es wird nicht das erste Mal gewesen sein und ganz sicher nicht das letzte Mal. Aber es ist ein Schritt voran mit dem Blick zurück. Das Erlebte würdigen, wie es war, weil es war. Weil sie es war, weil ihr es gemeinsam wart und weil Sie es jetzt alleine sind.
In Gedanken bei Ihnen
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Danke……..
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Lieber Peter, du hast so viel getan. Alles getan. Alles was du konntest. Mehr ging nicht.
Und einer von beiden bleibt. Das ist immer so (bis auf Ausnahmen, Unfälle, Suizid) und solange man damit noch nichts zu tun hat, verdrängt man es. Verdrängen wäre ja schon fast „aktiv“, es findet einfach nicht statt, im Leben, in Gesprächen. Bis es eintrifft. Oder ansteht. Einige machen sich da auch vorher schon Gedanken (da gehöre ich eher dazu, ohne dass es mich pessimistisch macht oder ich es bin, ich mache mir aber manchmal einfach Gedanken drum und würde gern vorsorgen, für mich und ihn, wenigstens materiell, organisatorisch).
Dir ist es passiert und du hast den Weg mit ihr bis zur letzten gemeinsamen Tür gemeistert. Deine erste Tür ohne sie führt ins Leben, die Tür, die dahin führt, wo sie schon ist und wir alle hingehen werden ist für dich noch nicht offen.
Und du musst nun hier deinen Weg finden. Das braucht Zeit und du hast Zeit. Ich will keine Floskeln einwerfen, aber wenn es „schlecht“ geht, denke ich immer „nach dem kalten Winter kommt der Sommer“. Also es ist kalt und wird garantiert warm. Niemand weiß WIE und WIE LANGE warm, aber auf jeden Fall wärmer. Das ist so und das ist sicher. Ganz sicher! Und genauso sicher ist, dass für dich nach dem jetzigen „schlecht“ ein „besser“ kommt.
Ich drück dich (natürlich nur virtuell, weißt ja, Corona 😉 )
und danke für’s Du-sagen-dürfen,
Viele Grüße Miki
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Ich schreib da jetzt keinen langen Senf als Antwort. Aus einem einfachen Grund.
Es stimmt, es ist so…..
Danke und liebe Grüße
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😪
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Fühl dich gehalten.
Auch wenn du jetzt wieder sagst „das ist für mich selbstverständlich“, ich wünsche jedem, dass er so geliebt wird, wie du deine Anvertraute geliebt hast.
Ab der Diagnose hast du voller Liebe und Fürsorge gehandelt und dich dennoch im Dauerstress befunden. Körperlich, seelisch, auch wenn du alles hattest. Gib dir Zeit, lass dir Zeit, bleib eine Zeit liegen, heule, sei wütend ob der Ungerechtigkeit, dankbar für die gemeinsame Zeit, sauer auf die fehlende Zeit, tritt dir in den Hintern dich zu bewegen und umarme dich und heule wenn du die Ruhe brauchst. Nur setz dich nicht unter Druck und verlange von dir, das du ab sofort wieder normal funktionierst, das klappt nicht, kann man sich nicht aufdiktieren und geht vollst nach hinten los.
Es wird, du findest deine eigene Geschwindigkeit.
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Du scheinst mich „durchschaut“ zu haben! Der Satz mit dem „selbstverständlich“ wäre gekommen, schwebt auch hier gerade noch herum!
Ich lasse mir Zeit, kann auch nicht anders damit umgehen. Verdrängen, vergessen, all das klappt nicht. Gewisse Dinge liegen und stehen hier rum, es ist teilweise unaufgeräumt etc. All das, weil ich teilweise etwas beginne, nicht gleich fertigmachen kann, da bei allem irgendwie irgendwo Erinnerungen dranhängen. Und wenns nur die Haube ist, die meine mir Anvertraute gelegentlich trug und zur Garderobe legte. Es sind die Kleinigkeiten, die ein Großes werden.
Normal funktionieren klappt gut, aber nur ausserhalb. Im Job etc. Sonst? Im Kern, im Kleinen, im Inneren? Da siehts noch ganz anders aus….
Den immer möglichen Ausgleich, die Ablenkung, das „andere Leben“, das muss ich noch finden. Läuft noch nicht ganz rund, aber es wird.
Wie du schreibst, die eigene Geschwindigkeit ist es, die man (hier eben ich) finden muss!
Aktuell grabe ich danach, strecke mich danach, suche sie noch überall….
Die Welt dreht sich einfach weiter. Für mich, für andere, eben etwas „anders“..
Danke für deine Worte!
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