Irgendwie scheint sich alles ziemlich schnell zu drehen. Es ist kein Fluss zu erkennen, nur Strudel, nur Wechsel, nur Veränderung, nur Drehungen, nichts ist gerade.
Diese Formulierung habe ich vor einigen Tagen von einem Menschen gehört, der im letzten Jahr ebenfalls seine Partnerin verloren hat. Er hat ebenfalls zu dieser Zeit den Job gewechselt, hat ebenfalls Vieles umgekrempelt, neu aufgestellt, Vieles verändert. Verändern müssen.
Ich habe ihn in der Nähe des Krankenhauses getroffen, in dem beide sehr viel Zeit und auch ihre letzten Tage verbracht haben. Seine Freundin und meine mir Anvertraute. Beide sind im Abstand von nur wenigen Tagen verstorben.
Ich war geschockt, als ich ihn sah. Völlig aufgedunsen, grau im Gesicht, nervös., zittrig,… Ich wäre fast an ihm vorbeigelaufen.
„Wie gehts dir?“, war natürlich die Frage, die man im Normalfall nicht hören will, aber unter „Betroffenen“ sehr direkt und völlig anders verstanden wird. Es wird nicht nach Blümchen und Tralala gefragt, nicht auf schöne Antworten gewartet, sondern es wird einfach hingeknallt. Das Gegenüber kennt den Rest! Sicher sogar!
„Beschissen! Alles ist so anders, Alles dreht sich, Alles ist anders, Alles wurde anders, nichts läuft mehr gerade, es dreht sich alles. Immer und immer wieder dreht sich alles. Die ganze Sache hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Der Job, die Sache mit dem Nachlass, das Geld, die Familie, alles ist anders. Weihnachten war fürchterlich, Silvester auch.
Der Lockdown, der Job, alles läuft so unrund! Ich schaffs gerade nicht mal mehr, meinen Job richtig und vollständig zu machen. Dauernd ist was.
Entweder darf ich nicht zu den Kunden, kann nicht zu den Kunden, will manchmal auch nicht hin, kann nicht mehr reden, … Alles geht grad schief.
Ich fress Pillen, trinke Schnaps, bin dauern krank.
Es hat länger gedauert, das so aufzuschreiben, als er Zeit gebraucht hat, es zu sagen. Ich war irgendwie vor den Kopf gestoßen, dachte sofort an mich selbst, begann zu vergleichen.
Ich kann mich nicht wirklich von Außen betrachten, kann nicht alles direkt 1:1 nebeneinanderstelen, aber eins wurde mir bewusst. Meine mir Anvertraute und ich, haben ab dem Zeitpunkt, ab dem klar wurde, dass diese Sache ganz böse enden werde wird, noch viel mehr und noch deutlicher miteinander gesprochen, als wir es vorher schon taten.
Ich war und bin immer noch völlig von den Socken, dass meine mir Anvertraute nicht mehr da ist, trauere immer noch um sie, vermisse sie an allen Ecken und Kanten, habe aber das Leben, die Arbeit und mich dabei (noch oder wieder) auf Spur.
Er hat die Spur verloren. Er hat komplett seine Linie verloren,springt irgendwo zwischen den Schienen rum, hat keinen Plan mehr.
Mit Alkohol, kann man sich natürlich ruhigstellen, sich mit Pillen betäuben, sich abschiessen, es wird allerdings nichts helfen.
„Beratung brauch ich nicht!“ kam es am Ende seiner knapp formulierten Aussagen. „Ich brauche Hilfe!“
Ich stand da und wusste eigentlich auf die Schnelle nicht was ich sagen sollte, erinnerte mich aber dann an die diversen Angebote, die ich erhalten habe. Dies, jenes, hier, da, mit dem, bei denen, dort kannst du hingehen, dich melden….
Ich halte mich nicht für stark genug, nicht für befähigt, nicht für geeignet, einem Menschen in einer solchen Situation persönlich helfen zu können. Aber eins habe ich gemacht, eins konnte ich tun.
Ich war ehrlich und offen.
Ich hab ihm die Tipps gegeben, an die ich mich erinnern konnte, sagte ihm die Anlaufstellen nochmals, nannte ihm die Dinge, die mir gerateten wurden.
Selbst, habe ich wenige davon gebarucht bzw in Anspruch genommen. Ich hatte und habe das Gefühl, die Spur nicht verloren zu haben.
Ich war ehrlich und offen.
Habe ihm auch gesagt, dass er so richtig scheisse ausschaut.
War ich zu ehrlich und offen?
Nein, war ich offenbar nicht! Er begann zu lächeln. Er begann tatsächlich zu lächeln und bedankte sich für meine grob ehrliche Aussage.
„Bisher hats noch keiner geschafft, mir das zu sagen! Ich glaub du hast recht! Muss, glaub ich, was ändern!“
Waren die Worte, die er mir mit einem lächeln rüberschob, bervor wir uns wieder voneinander verabschiedet haben.
Bin gespannt auf unser nächstes Treffen.
Es ist nichts geplant, nichts vereinbart, aber es wird kommen. irgendwann. In der Nähe des Krankenhauses, in dem wir beide unsere bessere Hälfte verloren haben.
Gedanken. Erinnerungen.
Manchmal braucht man wohl einen groben und direkten Anstoß. Hoffentlich kriegt er die Kurve.
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… ich hoffe es!!!
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Puh – schön das du ehrlich warst. Manchmal ist es einfacher von jemandem, der das Gleiche durchmacht, eine Ansage anzunehmen, als von denen „die sowieso nicht verstehen“ und dazu „nichts falsches sagen wollen“. Pass auf dich auf und fühl dich gedrückt.
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Ich hoffe, dass es das Richtige war! Mir selbst, wäre es lieber, jemand sagt es mir direkt, als es hinter meinem Rücken zu sagen. Ich vermute, es gibt Situationen, in denen man es nicht mehr merkt, dass man abrutscht.
Den Herrn kenne ich zwar nicht wirklich gut, hatte aber irgendwie das gefühl, er würde es vertragen und ich könnte es so sagen, wie ich es gesagt habe.
Seine Reaktion war auch irgendwie postitiv.
Ich hoffe, er kommt da wieder „auf gerade“!
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Es klingt als wärst du zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, um ihn wachzurütteln. Wäre schön, wenn er jetzt seinen Weg findet.
Ich finde es immer noch bemerkenswert, wie nüchtern du alles nötige angegangen bist einschließlich der Selbstfürsorge. Und wieviel Liebe du ins Alleinsein mitgenommen hast.
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Vieles sieht einfacher aus, als es wirklich ist. Von nüchtern sehen, fühle ich mich selbst weit entfernt. Aber ich hatte den Vorteil, eine sehr starke Frau an meiner Seite gehabt zu haben, die mit mir zusammen sehr offen und direkt mit dem Thema umgegangen ist. Selbst halbwegs fest auf beiden Beinen zu stehen, hilft dabei auch. Was es ausmacht, wie man damit umgeht, das muss jeder selbst für sich erfahren… So leid es mir auch für einige Menschen tut. Bei so manchem habe ich inzwischen bemerkt, kommt die Flucht in eine falsche, für mich eigenartige Richtung.
Ob ich bei dem besagten herren etwas ausgelöst habe, vermag ich nicht zu sagen. Ich konnte nur meine Klappe nicht halten. 😉 Aber ehrlich gesagt, hoffe ich, nicht zu grob, aber auch direkt genug gewesen zu sein … Ich kenne seine Situation nur zu gut, kenne das was da daherkommt. Ich hoffe aber auch, dass er wieder zu seiner Linie findet. Egal wie diese für ihn aussehen mag.
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ich sehe auch scheiße aus, mir gehts aber gut dabei. so halbwegs. und mehr brauche ich nicht.
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Mir gehts nicht anders! Drum hab ich den Satz dazugeschrieben
„Was es ausmacht, wie man damit umgeht, das muss jeder selbst für sich erfahren…“
Was „die Sache“ aus einem macht, das ist wieder eine andere, eine ganz spezielle Sache. Hängenbleiben tut natürlich etwas. Wenn nicht, wärs traurig. Dann wär vorher schon alles egal gewesen…..
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Du warst ehrlich, du warst direkt. Das war gut. Vor allem warst du authentisch. Das war das Beste!
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Danke sehr.
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